Ein Rückblick auf die Buchpräsentation „Ahmici“ im Café Ministerium vom 09.02.2023

Von Wolfgang Geißler

Wir leben in sehr merkwürdigen Zeiten, denn die Geschichte entlässt Österreich nicht so einfach, um sich von ihr zu entfernen.

Der Ukraine-Krieg stand im Zentrum der jüngsten Unterredungen mit den US-amerikanischen Freunden als Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg darüber auch mit CIA Chef William Burns, einem Ex-Botschafter und eminenten Russland-Insider, und Avril Haines, der Koordinatorin der US-Geheimdienste, in Langley, Virginia, diskutierte. Das war insofern bemerkenswert, als doch Washington die Alpenrepublik bisher eher für seine Expertise am Westbalkan geschätzt hat. Was einen wohl kurz innehalten lässt, ist die Tatsache, dass US-Außenminister Antony Blinken in seinem Statement Österreichs „Führungsrolle“ in den Ländern Ex-Jugoslawiens würdigte.

Auch Peter Rough, der Politologe am Hudson-Institute, NY, hob die Mentoren- und Führungsrolle Österreichs auf dem Westbalkan hervor und ging dabei sogar so weit, Wien pointiert, vielleicht mit einer Prise Ironie, als die „Hauptstadt des Balkans“ zu apostrophieren.

Die österreichisch-ungarische Verwaltung Bosniens und der Herzegowina begann 1878 nach der auf dem Berliner Kongress vereinbarten Okkupation des Landes, damals noch Teil des Osmanischen Reiches, der die formelle Annexion 1908 an Österreich folgte. Die österreichischen Beamten prägten den bis heute gültigen Doppelnamen Bosnien-Herzegowina. Die k.u.k. Verwaltung schuf ein leistungsfähiges Schul- und Sanitätswesen und ermöglichte eine gute wirtschaftliche Entwicklung. In dieser Zeit begann die industrielle Ausbeutung der Bodenschätze und Wälder Bosnien-Herzegowinas, wobei mit Augenmaß vorgegangen wurde (u. a. Aufforstungsprojekte). Schmalspurige Eisenbahnlinien und wichtige Fernstraßen wurden errichtet.

Der Islam wurde als gleichberechtigte Religion staatlich anerkannt. Österreich-Ungarn war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der einzige christlich dominierte Staat, der gesetzlich geregelte Beziehungen zu einer muslimischen Glaubensgemeinschaft unterhielt und daher unter anderem auch muslimischen Religionsunterricht an den Schulen erteilen ließ, Militär-Imame in der Armee unterhielt, eine muslimische Gefangenenseelsorge organisierte, den religiösen Einrichtungen das Selbstverwaltungsrecht einräumte und ihnen den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechtes gab. Das aus diesem Anlass 1912 erlassene Islamgesetz stand bis zu seiner Novellierung 2015 weitgehend unverändert in der Republik Österreich in Kraft.

Kaiser und König Franz Joseph I. erließ am 17. Februar 1910 ein Landesstatut (die Landesverfassung inkl. Grundrechte der Bürger), eine Landtagswahlordnung, eine Landtagsgeschäftsordnung, ein Vereinsgesetz, ein Versammlungsgesetz sowie ein Gesetz über die Bezirksräte. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden 1910 Landtagswahlen abgehalten.

Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand wollte den slawischen Völkern den gleichen Status einräumen, den die Ungarn bereits hatten. Trotz dieser proslawischen Einstellung (seine Frau Sophie Chotek war eine tschechische Gräfin) fiel er und sie am 28. Juni 1914 bei einem Besuch in Bosnien, auf der Lateinerbrücke in Sarajewo, dem Attentat eines serbischen Fanatikers zum Opfer. Dieses Attentat war der Anfang vom Ende der österreichischen Herrschaft in Bosnien.

Der bosnische Schriftsteller Alija Nametak, gest. 1987, schrieb in einer seiner Novellen: „Infolge des Umbruchs von 1918 zogen die Österreicher aus dem Land; mit ihrem Abzug endete bei uns auch die Gerechtigkeit“.

Ahmici ist ein Dorf mit circa 466 Einwohnern in Bosnien und Herzegowina nahe der Hauptstraße von Sarajewo nach Travnik in der Gemeinde Vitez. Das Dorf wurde am 16. April 1993 zum Schauplatz des Krieges zwischen Kroaten und Bosniaken, als sich das Massaker von Ahmici ereignete, das von kroatischen Truppen an bosniakischen Zivilisten verübt wurde.

Professor Dr. Kurt Tiroch, Präsident der Österreichisch-Britischen Gesellschaft, verriet uns einleitend zum Vortrag, dass er auf den Vorschlag einer Präsentation des Buches „Ahmici“ von Thomas Obruca zuerst zögerlich reagiert hat. Ihm war bewusst, dass diese Geschichte unter die Haut gehen würde. Es handelt sich um einen Krieg, der gut 30 Jahre zurückliegt. Es geht um die grauenhaften und grausamen Lebenserfahrung eines damals 13 – jährigen Buben, vor dessen Augen seine Eltern, seine ältere und jüngere Schwester massakriert wurden und er aber selbst schwer verletzt überlebte. Aber es gibt auch jetzt einen Krieg vor unserer Haustür, der schon bald ein Jahr lang tobt, mit schwersten Kriegsverbrechen, den Überfall Putin-Russlands auf die Ukraine. Das bewog Prof. Dr. Tiroch schließlich, dem Vorschlag zuzustimmen.

„Ahmici – Die acht Tage des 13-jährigen Adnan“ von Thomas Obruca ist eine wichtige Lektüre für alle, die sich mit dem Wahnsinn von Kriegsverbrechen auseinandersetzen wollen. Thomas Obruca, der dieses schreckliche Verbrechen des Angriffs der kroatischen HVO-Truppen auf das Dorf Ahmici im Lasva-Tal bei Vitez am 16. April 1993 für das Internationale Jugoslawien-Tribunal in Den Haag untersuchte, beschreibt das Unfassbare aus dem Blickwinkel eines Dreizehnjährigen – der die Ermordung seiner Familie miterlebte, acht Tage in einem Versteck verharrte, bevor er von UNO-Friedenstruppen gefunden wurde.

Die Vorlesung des Autors aus seinem Buch war fesselnd, aber nichts konnte die Emotionen besser widerspiegeln als der Protagonist der Erzählung, Adnan Zec, der Zeuge des Grauens, dem es bei der bloßen Erwähnung des Massakers an seiner Familie die Tränen in die Augen trieb.  Eine klaffende, offene Wunde, die Verbrecher ihm, dem heute 43-jährigen, vor dreißig Jahren zugefügt haben. Und bis heute betet er, frei von jeglichen Rachegelüsten, dass diese Verbrecher der Gerechtigkeit ausgeliefert würden.

Es war eine schwere Kost. Aber wert, sich ihrer anzunehmen. Was folgte, waren animierte Diskussionen begleitet von der bereits berühmten Gastfreundschaft des Café Ministeriums, einer schier unendlichen Reihe von wohl zubereiteten Speisen und köstlichen Weinen.

 
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