Rückblick auf den Besuch des renovierten Parlamentsgebäudes am Donnerstag, 25. Mai 2023
Von Wolfgang Geißler
Was ist ein Escape Game?
Der englische Begriff „Escape Game“ bedeutet wörtlich übersetzt „Fluchtspiel“. Diese unterhaltsame Aktivität, die sich seit Anfang der 2000er-Jahre großer Beliebtheit erfreut, ist von Videospielen inspiriert. Manchmal auch „Escape-Room“ oder „Real Life Escape the Room“ genannt, ist das Escape Game ein Rollenspiel, das in einer realen Umgebung stattfindet. Es ist ein Spiel in Lebensgröße, bei dem die Spieler innerhalb einer bestimmten Zeit aus einem Raum entkommen müssen, in den sie eingesperrt sind. Ein wertes Firmenmitglied und sein Partner, die Namen sind dem Autor bekannt, werden aber rücksichtsvoll nicht genannt, spielten das während unserer gestrigen Parlamentsführung recht unfreiwillig.
Im Bundesratssaal entschlossen sie sich, noch schnell ein paar Fotos zu schießen, sahen sozusagen aus dem Augenwinkel, wie die letzten unserer Gruppe den Saal verließen. Als sie selbst darangingen, uns zu folgen, wurden sie draußen von 70 Touristen konfrontiert, aber keine Spur von uns. Sie versuchten, ins Stiegenhaus zu kommen, was nicht ging, denn alle Türen waren gesichert. Also warteten sie, bis jemand durch irgendeine Tür kam, durch die sie entkommen konnten. Dieses Spielchen des Türeöffnens dauerte gute eineinhalb Stunden, bis sie schließlich wieder ins frei zugängliche Stiegenhaus gelangten und lang nach Ende der Veranstaltung auf ein paar von uns im Kelsen Bistro trafen. Der nun folgende Rückblick ist somit diesen beiden als eine Art „was bisher geschah“ gewidmet.
Unser äußerst engagierte Secretary General der Österreichisch-Britischen Gesellschaft Jochen Ressel ließ seine vielen Verbindungen spielen, um uns den gestrigen Besuch des renovierten Parlamentsgebäudes zu ermöglichen. Er wurde dabei durch die tatkräftigen Interventionen der Vizebundesratsdirektorin Dr. Alice Alsch-Harrant unterstützt und der internen Koordination von Fabian Gaida, dem Parlamentarischen Mitarbeiter von Nationalratsabgeordneten Mag. Martin Engelberg, den wir später persönlich kennenlernen sollten.
War nicht unser Parlament das erste „europäische“ Parlament? Im Reichsrat der Jahre 1911 bis 1914 waren acht Nationen versammelt.
Zehn Jahre nach dem Ende des Vielvölkerparlaments fand dessen vorletzter Präsident, Julius Sylvester, im Reichsrat die Ursache dafür, dass die Nachfolgestaaten sich so schnell formieren konnten. Dies wäre nicht möglich gewesen, meinte Sylvester, „wenn nicht die Gesetze, die sie vom alten Staat übernommen haben, im österreichischen Abgeordnetenhaus beraten und beschlossen worden wären. Eine Unsumme von Arbeiten wurde da geleistet, die besten Redner und die auserlesensten Fachmänner haben daran gearbeitet, und wenige Parlamente in Europa werden so tüchtige und arbeitsame Kräfte in ihrer Mitte besitzen, wie sie das österreichische Abgeordnetenhaus besessen hat.“
Die Doppelten Bernadettes
Das Aufeinandertreffen von zwei Bernadetten in der Agora des Parlamentes sorgte für eine fröhliche Aufregung. Bernadette aus Kärnten, die Gemahlin unseres Präsidenten Prof. Dr. Kurt Tiroch und Bernadette Konzett aus Vorarlberg, die uns zwanzig wissbegierigen Firmen- und Vorstandsmitgliedern als kenntnisreicher Guide zur Verfügung stand. Der Anblick der frisch renovierten wie auch die durch einen intelligenten Umbau neu gewonnenen Räumlichkeiten war atemberaubend eindrucksvoll. Der alte, ehrwürdige Reichsratssaal, Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses, Sitz des ersten „europäischen“ Parlamentes, heute Raum für die Bundesversammlung, der „neue“ Bundesratsaal und schließlich der imposante Nationalratsaal mit der Glasveranda und Glasdach.
Der Reichsrat
Der Reichsrat war von 1861 an das Parlament des Kaisertums Österreich und von 1867 bis 1918 das Parlament der cisleithanischen Reichshälfte der nunmehrigen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.
Er bestand aus zwei Kammern, dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Einberufung, Vertagung und Schließung betrafen immer beide Häuser des Parlaments. Noch im selben Jahr erhielt die österreichische Reichshälfte eine neue Verfassung, wiederum in Gestalt mehrerer Einzelgesetze (sogenannte Dezemberverfassung vom 21. Dezember 1867). Das Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung in der Fassung von 1861 wurde in die neuen Grundgesetze übernommen, bezog sich aber nicht mehr auf die Länder der ungarischen Krone und das verlorene Lombardo-Venetien, sodass 203 Abgeordnete verblieben. Das Abgeordnetenhaus wurde anfangs noch von den Landtagen beschickt, seit der Wahlreform von 1873 jedoch nach Klassenwahlrecht direkt gewählt.
Beschlüsse wurden zum Gesetz, wenn ihnen beide Häuser zugestimmt hatten, sie der Kaiser zum Zeichen seines Einverständnisses unterzeichnet hatte und die Gegenzeichnung der verantwortlichen k.k. Minister erfolgt war. (Für Finanzgesetze und Rekrutenaushebung galt, wenn die beiden Häuser uneinig blieben, die kleinere Ziffer als bewilligt.) Die Gesetze wurden im Namen des Kaisers im Reichsgesetzblatt kundgemacht. Neben dem Reichsrat hatten die Landtage der Kronländer Cisleithaniens nur geringe Gesetzgebungskompetenzen.
Sitz des Reichsrats war seit 4. Dezember 1883 das Parlamentsgebäude an der Ringstraße in Wien, das heute Tagungsort des österreichischen Parlamentes ist. Vorher hatte das Abgeordnetenhaus nur einen provisorischen Sitz in einem hölzernen Gebäude – ironisch Schmerling-Theater genannt – in der Währinger Straße im 9. Wiener Gemeindebezirk.
Kaiser Franz Joseph, der anfangs absolut regierte, stand dem Parlamentarismus, den er dem erstarkenden Bürgertum zugestehen musste, lange Zeit misstrauisch gegenüber. Er hielt sich aber strikt an die von ihm sanktionierte Verfassung. Die schrittweise Ausweitung des Wahlrechts musste dem skeptischen Kaiser im 19. Jahrhundert von den jeweiligen Regierungen mühsam abgerungen werden.
Die immer wieder erlassenen kaiserlichen Entschließungen zur Vertagung des Reichsrats entsprangen nicht absolutistischen Regungen, sondern erfolgten auf Vorschlag der k.k. Regierung, wenn der Reichsrat zu Beratungen und Entscheidungen aufgrund von Obstruktion, meist durch tschechische Abgeordnete, nicht in der Lage war.
Das Parlamentsgebäude besuchte Franz Joseph nur zweimal, 1879 beim Richtfest und im Jänner 1884 kurz nach der Betriebsaufnahme des Hauses. Die Thronreden mussten sich die Abgeordneten in der Hofburg anhören. Damit versuchte der Hof die Fiktion aufrechtzuerhalten, der Kaiser sei weiterhin der eigentliche Machthaber, wie dies auch die stereotype Einleitung der beschlossenen Gesetze suggerierte: „Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrates finde Ich anzuordnen, wie folgt …“
Thronreden
Es verdient gleich hier bemerkt zu werden, dass sich der Kaiser während seiner ganzen Regierungstätigkeit nur zweimal (am 18. Juni 1863 und am 27. Juli 1865 durch einen Erzherzog) vertreten ließ, in allen anderen Fällen der feierlichen Eröffnung und Schließung des Reichsrates aber höchstpersönlich interveniert und die Thronrede gehalten hat.
Der Kaiser änderte nach der Russischen Revolution von 1905 seine Einstellung zum Parlament und betrieb die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts, wie es von der Sozialdemokratie in Großdemonstrationen verlangt wurde, gemeinsam mit seinem Ministerpräsidenten Max Wladimir von Beck aktiv. Thronfolger Franz Ferdinand trat 1906 mit adeligen Großgrundbesitzern dagegen auf und wollte die Reform im Herrenhaus zu Fall bringen; der Kaiser drohte an, seine beiden Obersthofmeister, Rudolf Fürst Liechtenstein und Alfred Fürst Montenuovo, im Herrenhaus für die Reform das Wort ergreifen zu lassen. Die Wahlrechtsreform trat 1907 in Kraft.
Unsere Demokratie hat Hunger
Historische Momente, nachhaltig erzählt
So lautet der Slogan für Kelsen, österreichische Küche mit oooh und aaah. Wobei natürlich Kelsen auch für Hans Kelsen und die österreichische Verfassung steht.
Wie auch immer, dort versammelten sich achtzehn erschöpfte Firmen- und Vorstandsmitglieder zu einem wohlverdienten Erfrischungsgetränk. 18, weil, wie Sie sich sicher erinnern, zwei Mitglieder verzweifelt versuchten, das „Escape-Game“ für sich zu bestimmen!
Dort trafen wir dann auch den Nationalratsabgeordneten Mag. Martin Engelberg.
Martin Engelberg
Martin Engelberg ist ein Psychoanalytiker, Unternehmensberater und Politiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Er wurde am 9. November 2017 als Abgeordneter zum Nationalrat angelobt. Er ist Chairman of the UK-Austrian Parliamentary Friendship Group.
Sein persönlicher Bericht vor unserer kleinen Gruppe war der folgende:
Sehr interessante Eindrücke und Erkenntnisse von der Delegationsreise der Parlamentarischen Gruppe Österreich, Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland nach Belfast und London.
- unterstreicht die Wichtigkeit, die Länder zu bereisen, über die wir sprechen und mit denen wir Partnerschaften pflegen.
Nordirland
=> weiterhin herrscht eine überraschend starke Segregation zwischen Katholiken und Protestanten vor, die auf eine über 500-jährige konfliktreiche Geschichte zurückgeht.
=> beide Gesellschaften leben in direkter Nachbarschaft, zum Großteil getrennt durch Einfahrtstore, Zäune & 15 Meter hohe Mauern und weitgehend getrennten Schulen.
=> politische Treffen im Rahmen eines Besuchs am Stormont Estate, Sitz des Parlamentes und der Regierung, wo es aktuell sehr ruhig ist, weil seit den Wahlen vor einem Jahr die politischen Parteien, primär durch die DUP Partei (Protestanten), eine Blockade vorherrscht. So kann sich das Parlament nicht konstituieren und auch keine Regierung gebildet werden.
=> Vorherrschende Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll
- die Wiedervereinigung Irlands mit Nordirland ist auch ein Thema – einerseits gewünscht von den Republikanern, anderseits nicht gewünscht von den Protestanten.
London
=> sehr aufschlussreiche Briefings und Gespräche im österreichischen Außenwirtschafts-Center in London
=> berührende Feier mit „Wieder-Österreichern“ in der Residenz der österreichischen Botschaft. (Seine Rede kann man auf Facebook und Instagram verfolgen). „Wieder-Österreicher“ sind Nachkommen von Verfolgten des Nazi-Regimes, die seit Kurzem wieder die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten können.
=> Besuch und Aussprache im Westminster Palace und Portcullis House mit Sir Peter Bottomly, seit über 40 Jahren Parlamentarier im Unterhaus und Vorsitzender der britisch-österreichischen Gruppe in London. Eindrucksvoller Rundgang voller Anekdoten und Informationen.
=> Briefing mit dem internationalen politischen ThinkTank RUSI, über die zentralen politischen Entwicklungen und Konflikte: Ukraine, Russland, Saudi Arabien, Iran, Einfluss von China, Situation in Israel, aber auch die Rolle & Sicherheitslage Europas sowie die Position Österreichs und das Thema Neutralität.
=> Treffen im britischen Außenministerium mit dem stellvertretenden Minister für Mittel- und Osteuropa. Ein sehr gutes Gespräch und interessanter Austausch.
=> kulturelle Programmpunkte mit österreichischem Bezug: Besuch im Freud Haus, Royal Music College, österreichisches Kulturforum, treffen mit einer ÖFB Damen Nationalspielerin, usw ….
Schottland?
Meine Frau, die ja bekanntlich eine Schottin ist, stellte Mag. Engelberg die zu erwartende Frage, wie er die Lage in Schottland einschätze. Den meisten ist bekannt, dass Schottland gegen den Brexit stimmte, was im Gesamtstaatlichen natürlich keine Erwähnung fand.
Ein Fall von „White Man speaks with Forked Tongue“?
2014 stimmte Schottland knapp gegen einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich, wobei nicht vergessen werden durfte, dass das durch eine Lüge zustande kam.
Anfang September hatte sich in Umfragen erstmals eine Mehrheit für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Daraufhin hatten die Vorsitzenden der drei größten Parteien im britischen Unterhaus, Premierminister David Cameron, Liberalen-Chef Nick Clegg und Oppositionsführer Ed Miliband, aber auch der Schotte Gordon Brown, an die Schotten appelliert, sich gegen eine Abspaltung auszusprechen. Der Slogan „Better Together“ und die Drohung, dass bei einem Austritt aus dem Vereinigten Königreich, das damals noch EU-Mitglied war, Schottland sich außerhalb der Europäischen Union befinden würde, mit grauenhaften Konsequenzen. Nur ein Verbleib im Vereinigten Königreich würde einen Verbleib in der EU gewährleisten. Was auch dann im Vertrauen auf das Versprechen geschah. Man blieb.
2016 entschloss sich das Vereinigte Königreich aus der EU auszutreten. Das Problem scheint zu sein, dass den Allermeisten es gar nicht bewusst ist, dass Schottland ein 1000 Jahre alter Staat und als solches eine alte Nation und nicht Teil Englands sei. Nordirland, auf der anderen Hand, ist ein durch Segregation auf religiösen Linien entstandener künstlicher, mit nur 1,8 Millionen Einwohnern kleiner Zwerg und Provinz Großbritanniens.
Ein intelligenter Vortrag, eine intelligente Diskussion, wobei am Ende Martin Engelberg unseren Präsidenten Prof. Dr. Kurt Tiroch ersuchte, ihn doch auf die Verteilerliste zu setzen.
Martin Engelberg und Fabian Gaida waren schon entfleucht und nur sieben Mitglieder übrig geblieben, da erschienen plötzlich zwei müde Gestalten. Na, Sie wissen ohnehin. „Escape Game“.
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