Das Arsenal unweit des Belvederes hatte für mich seit meiner Ankunft in Wien vor vielen Jahren schon immer einen gewissen Reiz. Umgeben von einer prächtigen Parkanlage liegt das Gebäude des Heeresgeschichtlichen Museums, erbaut auf Befehl Kaiser Franz Josefs als „Waffenmuseum“ Mitte des 19. Jahrhunderts, inmitten einer fast pazifistischen Ruhe. Eben diese aktuell bedauerlicherweise nicht mehr pazifistische Ruhe inmitten Europas veranlasste unter anderem die ABS zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Das Ende einer Weltmacht – Österreich-Ungarn – 1867-1918“ mit dem Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums Dr. Mario Christian Ortner.

In seiner Begrüßung spannte Präsident Prof. Dr. Kurt Tiroch den Bogen vom Niedergang der österreichisch-ungarischen Weltmacht über die drohenden mehr oder weniger starken „Niedergänge“ der aktuell (noch) als Weltmächte geltenden Großbritannien (im Lichte von BREXIT) und Russland, ehe er das Wort an Direktor Ortner übergab, der die anwesenden Mitglieder für die folgenden knapp zwei Stunden wahrlich zu fesseln vermochte.

Direktor Ortner begann sogleich mit dem Status Quo anno 1866. Österreich-Ungarn war als Doppelmonarchie ein komplexer Vielvölkerstaat unter der Führung von Kaiser Franz Josef, territorial aufgeteilt in Cisleithanien und Transleithanien und in seinen Ministerien oft unterteilt und gefangen in komplexen Strukturen. Nur zur Anschauung kann vielleicht folgendes militärisches Beispiel dienen:

Regimenter der gemeinsamen österreichisch-ungarischen Armee führten den Zusatz „k.u.k.“ als kaiserlich-königlich; die „Landwehren“ von Cisleithanien waren mit dem Vorsatz „k.k.“ (=kaiserlich-königlich; hier ist das königlich hauptsächlich als Königreich Böhmen zu verstehen) versehen, während die ungarische „Honvéd“ als „k.u.“ (=königlich-ungarisch) bekannt war.

Es folgten weitere Ausführungen zu den drei (!) verschiedenen Sprachebenen des Militärs (Kommandosprache, Dienstsprache und Regimentssprache), die wiederum und auch aufgrund der großen territorialen Ausdehnung der Monarchie eine unglaubliche Sprachenvielfalt innerhalb eines Regiments zu Tage förderte. Höhere Offiziere ab dem Rang eines Majors waren oftmals ausgebildet in mehr als sechs (!) Sprachen. Interessant ist vielleicht auch noch der Grundsatz des Kaisers, dass jeder Soldat gläubig sein sollte, die Religion jedoch nicht weiter von Belangen sei, solange er einen Treueschwur leisten kann. Exemplarisch zum österreichischen Erfindergeist von damals sei ein Prototyp eines später als „Tank“ bzw. Panzer bekannt gewordenen Kettenfahrzeugs erwähnt, inklusive Porsche-Antrieb, dessen Produktion und Weiterentwicklung von der Heeresführung jedoch abgelehnt wurde, weil schlichtweg kein Konzept für einen Einsatz vorstellbar war und andere Staaten diese gar noch nicht hatten (weshalb es keine gute Idee sein konnte (!)).

Die Führung näherte sich sodann dem wichtigsten Datum des Abends: dem schicksalhaften 28.06.1914 in Sarajevo. Eine Verkettung unglücklicher Umstände bescherte Österreich einen toten Thronfolger (Erzherzog Franz Ferdinand) samt Gemahlin und in weiterer Folge Europa den 1. Weltkrieg (damals noch: the great war).

Bitte erlauben Sie mir einen kurzen humoristischen Exkurs zur von der BBC produzierten Serie „Blackadder“: Der sehr einfach gestrickte Soldat Baldrick fragt in den Schützengräben des 1. Weltkrieges seinen Vorgesetzten Blackadder (Rowan Atkinson), was denn überhaupt der Grund für den Ausbruch dieses großen Krieges sei.

Baldrick: „I heard that it started when a bloke called Archie Duke shot an ostrich ‚cause he was hungry.“ Daraufhin erwiderte der ihm auf geistiger Ebene haushoch überlegene Blackadder: „The real reason for the whole thing was that it was too much effort not to have a war.“

Ähnlich sah es in gewisser Weise auch Direktor Ortner, der schließlich drei wichtige Punkte für diese Eskalation am europäischen Kontinent nannte:

  1. die Unterschätzung der Lage durch die Mittelmächte (Österreich-Ungarn bzw. im Speziellen Deutschland, samt des Ultimatums zur unabhängigen Untersuchung des Attentats an Belgrad);
  2. die Stagnation bzw einmalige Chance für Frankreich (stagnierende Wirtschaft einerseits sowie ein geburtenschwächerer Jahrgang in der Armee wurde mit der doppelten (2 Jahrgänge) Einberufung von Rekruten im Oktober 1913 abgefedert, was zu einer kurzfristigen militärischen Übermacht gegen Deutschland führte); sowie
  3. Beistand von Russland (angefeuert von Frankreich) für Serbien, die das österreichisch-ungarische Ultimatum im letzten Moment doch fast noch angenommen hätten, wäre keine Zusage von russischer Seite eingetroffen.

Im Endeffekt waren laut Direktor Ortner sowohl Wien als auch Belgrad nicht mehr Herr der Lage, selbst die letzten Vermittlungsversuche aus Großbritannien (!) schlugen fehl.

Der Kriegsverlauf selbst würde den Umfang dieses Berichts nun maßlos sprengen, jedoch wusste Direktor Ortner mit zahlreichen Anekdoten auch weiter zu begeistern. Ich selbst war beispielsweise vom überaus erfolgreichen österreichisch-ungarischen Einsatz bei Gallipoli (Stichwort: Mustafa Kemal) überrascht, ebenso wie dem vermehrten Einsatz österreichischer Schriftsteller, Musiker, Autoren und Künstler im Allgemeinen bei der Kriegspresse. Dies sollte sich in weiterer Folge als wahrlicher Glücksfall herausstellen, weil damit überdurchschnittlich viele aus diesem Kreise den Krieg überlebt haben und eine große Bereicherung für die Kulturlandschaft der Zwischenkriegszeit darstellten.

Zum Abschluss ließen wir den Abend gemütlich in der prächtigen Eingangshalle des Museums umringt von Statuen arrivierter Feldherren der letzten Jahrhunderte bei Sekt und Canapés ausklingen. Als kleiner Tipp noch für diejenigen, die bedauerlicherweise nicht dabei waren: auch ein „normaler“ Besuch ist wirklich seine Zeit wert; die ausgestellten Stücke reichen vom originalen Gräf & Stift Fahrzeug (damaliger Besitzer war Graf von Harrach) vom Attentat in Sarajevo, der Uniform des Erzherzogs Franz Ferdinand an eben jenem Tag, bis hin zum prunkvollen Marschallstab des Feldmarschalls Graf Conrad von Hötzendorf sowie zwei Werke von Egon Schiele. Man kann sich in diesen altehrwürdigen Hallen nur verlieren….

Christian Steiner

 
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