Rückblick auf den Vortrag „Die veränderte Sicherheitsarchitektur Europas angesichts des Konfliktes des Westens mit Russland“ mit Dr. Werner Fasslabend in der Diplomatischen Akademie am 29. März 2023

Von Wolfgang Geißler

Die lange erwartete Veranstaltung in der Diplomatischen Akademie, eine von unserem rührigen Vizepräsidenten Botschafter Dr. Alexander Christiani auf zwei verschiedenen Terminen organisierte Präsentation über Geopolitik, fand gestern statt. Bundesminister a.D. Dr. Werner Fasslabend war der Redner dieses Abends und das brandaktuelle Thema: „Die veränderte Sicherheitsarchitektur Europas angesichts des Konfliktes des Westens mit Russland“.

In seiner, wie immer sehr launig gehaltenen Einleitung wies Dr. Christiani auf einen wenig beachteten Umstand hin, eine Eigentümlichkeit der Österreich-Britischen Gesellschaft, nämlich, dass der Präsident, Prof. Dr. Kurt Tiroch offensichtlich für die Unterhaltung zuständig sei, während er, der Vizepräsident, für die Krisen. Wohl wird sich die nächste Veranstaltung mit Professor Huber mit dem Thema „Altern“ befassen, aber er überließ es den Anwesenden, es nach eigenem Gutdünken entsprechend zu kategorisieren.

Die Situation kann nicht mehr kleingeredet werden, fuhr Dr. Christiani fort. Ein neuer Eiserner Vorhang ist vom hohen Norden bis zur Türkei herabgefallen. Auch das „neutrale“ Österreich ist davon betroffen worden, doch eine, unter diesen Vorzeichen sich entfachende Diskussion über „die Neutralität“ wurde nach dem Motto „Regnum Vindobonensis locuta, causa finita“ sofort von der Regierung abgewürgt. Dr. Christiani zog daraus jedoch die Schlussfolgerung, dass die Abschaffung der Neutralität wohl nicht wünschenswert, aber sehr wohl notwendig sein werde.

Zu diesem Thema äußerten sich schon im Februar dieses Jahres die beiden früheren Verteidigungsminister Werner Fasslabend (ÖVP), der Vortragende dieses Abends und Herbert Scheibner (ehemals FPÖ und BZÖ). Sie machte keinen Hehl aus ihrer Präferenz für einen NATO-Beitritt Österreichs.

Die Mitgliedschaft in einer Allianz bringe Österreich „mehr Schutz“ und „stärkeren Einfluss“ sagte Fasslabend im APA-Interview. Scheibner kritisierte, dass Österreich in einer Reihe von Sicherheitsorganisationen dabei sei, „nur nicht in der, die auch Sicherheitsgarantien gibt“. Wobei durchaus bemerkt werden darf, dass Österreichs Neutralitätsstatus seit dem Beitritt zur Europäischen Union durch die sogenannte Solidaritätsklausel durch eine Verfassungsänderung faktisch abgeschafft worden ist. Stellen wir doch fest, dass Österreich schon längst nicht mehr „immerwährend neutral“ sondern nur noch bündnisfrei sei. Daraus folgt, dass es nicht mehr der Verpflichtung, sich aus allen Konflikten herauszuhalten, nachkommen könne, womit auch der Schutzaspekt der Neutralität verloren gegangen sei.

Vor dem Hintergrund des russischen Überfalles 2022 auf die Ukraine und sich dem vor unseren Augen erschließenden Kriegsschauplätzen dozierte Dr. Fasslabend, dass trotz groß angekündigter Wiedereroberungspläne Selenzkis  ein gewisser Realismus eintreten wird, nämlich Gebiete wir Donezk oder Luhansk nicht mehr zurückerobern zu wollen. Kann die Ukraine eigentlich den Krieg gewinnen? Was bedeutet eigentlich Siegen? Nicht im Sinne, dass man Gegner aufs Kreuz legt, sondern, dass beide zur Erkenntnis gelangen, dass nichts mehr zu gewinnen ist, nur noch zu verlieren. Die Frage, mit welchem Ergebnis beide Seiten leben könnten, wird in Friedensverhandlungen dann zu erörtern sein. Er glaubt, dass das Ende dieses Sommers so weit sein wird.

Der Aggressor Putin hat etwas zuwege gebracht, was er sicherlich nicht wollte, nämlich die Schaffung eines neuen „Ostschilds“. Schweden, mit 100 Kampfflugzeugen, Finnland, das bis zu 800.000 Mann sofort mobilisieren kann und der gleichzeitigen Verfügbarkeit des dazugehörigen Materials, Polen, das seine Armee auf unglaubliche 300.000 Mann aufgestockt hat und 5 % seines Bruttonationalprodukts investiert und schließlich die Ukraine. Das macht die Ostsee zu einem NATO-Binnensee, eine Blockade Russlands um vieles einfacher und Polen?

Polen wird zum strategischen Zentrum Europas, Deutschland verliert seine bis dahin gehaltene Position und damit seinen ehemals hohen Stellenwert in den USA. Polen geht seinen Weg und macht seine militärischen Einkäufe in Südkorea, etwas, das die USA mit Wohlwollen beäugen.

Die Welt ist (wieder) zweigeteilt. EU und US rücken zusammen. Russland und China tun das gleiche, wobei Russland früher oder später zum Vasallen Chinas degradiert wird. Man bedenke: nur 10 % der intelligentesten, bestausgebildeten Chinesen sind genauso viele, wie alle Russen samt Tschetschenen zusammen. Das kann nicht gut gehen.

Während wir von drei Polen sprechen, Washington, Peking und Indien, dürfen wir nicht ein Land ignorieren: die Neo-Ottomanische Türkei als Moderator zwischen Russland und der Ukraine, aber auch als Sicherheitsgarant für die zentralasiatischen Staaten.

Wo aber bleibt Europa?
Sicherheitspolitisch hat sich der Schwerpunkt in der Verteidigung gegen Russland nach dem Norden und dem Osten verschoben. Das bedeutet aber auch, dass Deutschland und Frankreich immer stärker aus dem Spiel sind. Die Option, eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik infrage zu stellen, besteht, da man sagt, die Verteidigung gegen Russland ist eine Frage, die andere ist die Sicherheitspolitik gegenüber Afrika, Naher Osten oder auch Zentralasien. Eine neue Herangehensweise wird hier wahrscheinlich zu sehen sein. Denn eines ist klar: um diese Bereiche wird sich Washington nicht (mehr) kümmern (wollen).

Die Europäische Union hat auf zwei Seiten, im Westen und Norden keine Nachbarn, nur das Meer, aber im anderen Bereich keine stabilen Nachbarn bzw. Nachbarregionen außer die Türkei und gerade zu ihr haben wir kein gutes Verhältnis.

Dr. Fasslabend beantwortete die für unsere Gesellschaft typischen intelligenten Fragen mit Geduld und Sachkenntnis.

Es war wieder ein Genuss, die köstlichen Brötchen und Weine der Diplomatischen Akademie beim gesellschaftlichen Zusammensein zu genießen. Der Abend war ein voller Erfolg!

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