Ein Rückblick auf Prof. DDr. Johannes Hubers Vortrag am Mittwoch, 22. Jänner 2025 im Curhaus zu Sankt Stephan
(Fotos von Wolfgang Geißler)

Von Wolfgang Geißler

„Manche mag es überraschen, aber es existiert bei vielen etwas wie die Ahnung von Transzendenz1, von Offenheit für Spiritualität. Und es gibt eine Sehnsucht nach einer Autorität, die in dem, was verharmlosend öffentlicher Diskurs genannt wird, das Bewusstsein für existenzielle menschliche Fragen von der Stunde null bis zur Todesstunde wachhält. Die sich, ob opportun oder nicht, für Schwache und Schwächste einsetzt.“

Was passt besser zu dem gestrigen Vortrag „Die Gretchenfrage: Christsein in der Jetztzeit; wie es auch für einen Naturwissenschaftler intellektuell redlich ist, Christ zu bleiben“ von Prof. DDr. Johannes Huber als der von mir in der PRESSE gefundene Leitartikel von Dietmar Neuwirth zur Emeritierung des Wiener Erzbischofs Kardinal Christoph Schönborn?

Christen werden weltweit verfolgt wie keine andere Glaubensgemeinschaft. Gleichzeitig stehen die christlichen Kirchen in Europa vor einem tiefgreifenden Wandel. Mitgliederzahlen schrumpfen, die Bindung an traditionelle Institutionen schwindet, während Spiritualität und Sinnsuche weiterbestehen. Diese Entwicklungen rufen eine zentrale Frage auf, die Johann Wolfgang von Goethe in der „Gretchenfrage“ formulierte: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“
Prof. Huber widmet sich dieser Frage, indem er Naturwissenschaft und Glauben in Einklang zu bringen sucht. Sein Vortrag basiert auf Erkenntnis und Offenheit. Huber vertritt die Ansicht, dass der christliche Glaube neu formuliert werden muss, um in einer wissenschaftsdominierten Welt bestehen zu können. Diese Perspektive spiegelte sich bereits in seinem Werk „Die Himmelsleiter“ wider, das er uns 2023 präsentierte. In diesem Buch untersucht er die Verbindung zwischen den Geheimnissen des Universums und der menschlichen Seele, indem er etwa die Schriften des mittelalterlichen Mystikers Thomas von Kempen2 neu interpretiert. Seine zentrale Botschaft: Unser Leben reicht in die Ewigkeit, und der wahre Sinn liegt darin, diese Tragweite zu erkennen.

Naturwissenschaft und Glaube – ein Widerspruch?

Prof. Huber erklärt, dass Wissenschaft und Religion keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille sind. Er zitiert Anton Zeilinger, der darauf hinweist, dass Informationen seit Anbeginn des Universums existieren. Diese Informationen enden nicht mit dem Zerfall des Körpers, sondern verweisen auf eine übergeordnete Intelligenz, die den Kern des Christentums unterstreicht.

Für Huber bedeutet zeitgemäßes Christsein, Dogmen nicht starr zu verteidigen, sondern die Essenz des Glaubens in die Sprache der heutigen Welt zu übersetzen. Die erste Probe der biologisch erwachten Vernunftkräfte sei die Erkenntnis, dass es eine Intelligenz gibt, die die eigene übersteigt. Er verweist hier auf die „Evolution des Bewusstseins“. Peter Sloterdijk3 beschreibt es so: „Wenn die Himmel zu sprechen beginnen dann gilt auch dafür eine Art Relativitätstheorie – die Absender „von oben“ können dies nur in einer Art und Weise tun, wie die Adressaten „von unten“ es entsprechend ihres evolutionären Reifegrades im Augenblick des Empfangens zu verstehen imstande sind – und sei es zunächst nur in der Form von einfachen und heute primitiv anmutenden Legendenerzählungen.“

Prof. Huber spannt den Bogen von Naturwissenschaft über Philosophie bis hin zur Religion. Dabei berührt er die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins, die Quantenphysik von Niels Bohr und Anton Zeilinger sowie weitere Nobelpreisträger.

Einsteins Relativitätstheorie erklärt, wie Raum, Zeit und Masse relativ sind, abhängig vom Beobachter. Quantenphysik hingegen beschreibt das Verhalten kleinster Teilchen, deren Eigenschaften wie Welle-Teilchen-Dualismus unsere klassische Physik sprengen. Zeilingers Erkenntnisse zur Quantenverschränkung legen nahe, dass Information fundamentaler ist als Raum und Zeit.

Es gibt keine Realität jenseits der Beobachtung
Säulen der Realität: Raum, Zeit, Dinge.

„Die allgemeine Auffassung in der Physiker-Community ist, dass die Quantenmechanik nicht lokal ist“, erklärt Zeilinger: „Die Physiker sind eher bereit, die Lokalität aufzugeben als den Realismus. Unsere Arbeitshypothese ist, dass es umgekehrt ist: dass wir Vorstellungen von der Realität aufgeben müssen. Die Experimente sagen: Wir müssen auf einen anschaulichen Realismus verzichten. Wenn ein Realismus übrig bleibt, dann muss er offenbar ziemlich verrückt sein.“ „Wir kommen da in philosophische Fragen, die leider von den Philosophen bisher nicht wirklich aufgegriffen wurden.“

Man bedenke: Kontextualität (quantum contextuality). Ein Erlebnis der Person A kann einen Einfluss auf das Erlebnis einer Person B haben, die beliebig weit weg oder in der Vergangenheit oder Zukunft lebt. Daraus ergibt sich erstaunlicherweise, dass die Trennung von Vergangenheit und Zukunft eine Illusion ist, denn Überlagerungszustände sind möglich!

Anton Zeilinger schreibt: „Wichtiger als die Konzepte Raum und Zeit ist das Konzept der Information – unabhängig von Raum und Zeit. Es liegt offenbar die Information vor, dass beide Systeme gleich sein müssen, auch wenn sie vor der Beobachtung noch keine vordefinierten Eigenschaften besitzen und obwohl sie keine Verbindung haben. Für mich deutet das in die Richtung, dass Information fundamentaler ist als alle anderen Konzepte. Schon das Johannes-Evangelium beginnt mit ,Am Anfang war das Wort’. Das kann ich auch mit Information übersetzen“.

Die Verschränkung ist eines der eindrucksvollsten quantenphysikalischen Phänomene, die für den menschlichen Geist schwer fassbar sind. Zwei verschränkte Teilchen korrelieren bezüglich ihrer Eigenschaften miteinander, selbst wenn die beiden Teilchen Lichtjahre voneinander entfernt sind.

Die Spiritualität als verbindendes Element

Wie aktuelle Studien belegen, wenden sich viele Menschen von der Kirche ab, ohne ihre Spiritualität aufzugeben. Hier sieht Huber Chancen: Die christliche Botschaft kann erneuert werden, indem sie Antworten auf existenzielle Fragen bietet, die Wissenschaft allein nicht klären kann. Was geschieht nach dem Tod? Woher kommen wir? Was ist der Sinn des Lebens?

Die Frage nach der Auferstehung der Toten – Totaliter-Aliter4

Einstein, dessen Freund Michelle Besso kurz vor ihm starb, schrieb: : „Nun ist er mir auch mit dem Abschied von dieser sonderbaren Welt ein wenig vorausgegangen. Das bedeutet nichts. Für uns gläubige Physiker –Metapher– hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer, wenn auch hartnäckigen Illusion.“

Huber ergänzt: „Was jenseits des Urknalls liegt, ist für unsere Antennen unzugänglich, doch Arik Brauer5 hat es vielleicht erfasst: ‚Ich begebe mich jetzt in die Ewigkeit.‘“

Ein Plädoyer für intellektuelle Redlichkeit

Für Huber ist der Glaube nicht naiv, sondern intellektuell redlich, wenn er die großen Fragen der Menschheit adressiert. Die Bibel sei kein naturwissenschaftliches Handbuch, sondern ein spirituelles Werk, das die Beziehung zwischen Mensch und Gott beschreibt. In einer Zeit, in der Rationalität dominiert, bleibt Raum für das Mysterium notwendig.

Prof. Hubers Vision eines zeitgemäßen Christentums verbindet intellektuelle Redlichkeit, Wissenschaft und Spiritualität. Wie eine Himmelsleiter – Verbindung zwischen Himmel und Erde – sieht er den Glauben als Weg zu etwas Größerem. Dieser Weg ist keine Flucht in die Vergangenheit, sondern eine Brücke in eine Zukunft, die Geist und Seele anspricht.

Seinen Vortrag schloss Prof. Huber mit den Worten:

„Ob Sie an Gott glauben oder nicht, ändert nichts an Seiner Existenz. Aber vielleicht an Ihrer.“

Erinnert dies nicht an Martin Bubers6 chassidische Legende? „Aber bedenke, vielleicht ist es wahr.“

Die Gretchenfrage bleibt relevant. Ihre Antwort liegt nicht in dogmatischen Zwängen, sondern in der Offenheit für das Geheimnisvolle, das sich sowohl in den Tiefen des Universums als auch im Innersten des Menschen offenbart.

Lieber Leser, wenn Sie sich bis hierher beim Lesen durchgearbeitet haben, möchte ich Ihnen auch die kurze, aber prägnante Ansprache von Prof. Dr. Kurt Tiroch zu Beginn des Vortrags nicht vorenthalten. Er offenbarte seinen Glauben und seine Überzeugung eindrucksvoll in wenigen Worten.

Am Ende gab es wieder einmal großzügig Sekt und köstliche Canapés, bereitgestellt vom Café Ministerium.

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1 Interview mit Otto Friedmann Kernberg, am 10.September 1928 in Wien geboren. Ist heute ein US-amerikanischer Psychiater und Psychoanalytiker: „Erfindet der menschliche Geist das Transzedente oder entdeckt er es?“

2 Thomas von Kempen, lat. Thomas a Kempis, war ein Augustiner-Chorherr der Kongregation von Windesheim, Mystiker und geistlicher Schriftsteller des 15. Jahrhunderts

3 Peter Sloterdijk ist ein deutscher Philosoph, Kulturwissenschaftler und Publizist, der mit seinen Beiträgen und Büchern in Deutschland zahlreiche Debatten ausgelöst hat. Er lehrte bis 2017 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe Philosophie und Ästhetik.

4 Die lateinische Redewendung „totaliter aliter“ (gänzlich anders, völlig anders) hat ihren Ursprung in einer mittelalterlichen Erzählung von zwei Mönchen, die sich das Paradies in ihrer Phantasie in den glühendsten Farben ausmalten und sich dann gegenseitig versprachen, dass der, welcher zuerst sterben würde, dem anderen im Traum erscheinen und ihm nur ein einziges Wort sagen solle. Entweder „taliter“ – es ist so, wie wir uns das vorgestellt haben, oder „aliter“ – es ist anders, als wir es uns vorgestellt haben. Nachdem der erste gestorben war, erschien er dem anderen im Traum, aber er sagt sogar zwei Worte: „Totaliter aliter!“ – Es ist vollkommen anders als in unserer Vorstellung!

5 Arik Brauer, bürgerlich Erich Brauer, war ein österreichischer Maler, Grafiker, Bühnenbildner, Sänger und Dichter. Er gilt als einer der Hauptvertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus

6 Von Martin Buber gibt es eine Chassidische Legende, die messerscharf den entscheidenden Punkt herausarbeitet: Entweder ist Gott ein Gerücht und Beten ein Stochern im Nebel. Oder ER ist eine Wirklichkeit, dann ist Beten der einzig angemessene Umgang damit. Sie geht so:

Ein Aufklärer kam zu Rabbi Levi Jizchak, um „die Beweisgründe für die Wahrheit seines Glaubens zuschanden zu machen“. Der Rabbi hörte sich schweigend die Reden des Spötters an; dann aber sah er ihm ins Gesicht und sagte nur diesen einen Satz: „Vielleicht ist es aber wahr!“ Es heißt, dem Aufklärer schlotterten die Knie beim Anblick des weisen Alten. Schließlich sagt der Rabbi: „Mein Sohn, die Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben ihre Worte an dich verschwendet, du hast, als du gingst, darüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können, und auch ich kann es nicht. Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr.“ Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegnung auf; aber dieses furchtbare „Vielleicht“, das ihm da Mal um Mal entgegen klang, brach seinen Widerstand.
Levi Jizchak (1740-1809) entstammte einer rabbinischen Familie, sein Vater war Rabbiner in einer galizischen Kleinstadt. Begründer des Chassidismus (eine jüdische religiös-mystische Strömung und Teil des ultraorthodoxen Judentums)