Rückblick auf den Vortrag „Die Wirtschaftslage in Österreich“ mit
Univ. Prof. Dr. Holger Bonin in der Diplomatischen Akademie am 10.03.2025.
(Fotos: Wolfgang Geißler)

Von Wolfgang Geißler

1. Einführung durch Botschafter Dr. Alexander Christiani

„Meine Damen und Herren, normalerweise kommen meine Sales Pitches für die ABS ja erst zum Schluss – aber um sicherzugehen, dass ich es nicht vergesse, mache ich es gleich zu Beginn. Denn, seien wir ehrlich: So eine hochkarätige Runde wie heute kann eben nur unsere Organisation zusammenbringen! Aber das wissen Sie ja bereits.“

Damit eröffnete unser Vizepräsident, Botschafter Dr. Alexander Christiani, unter Applaus die Veranstaltung mit seinem gewohnt charmanten Humor – diesmal im neu benannten „Human Rights Space“ (ehemals Musiksalon) –, bevor er auf die ernsten wirtschaftlichen Herausforderungen einging, denen sich Österreich derzeit gegenübersieht.

Botschafter Dr. Alexander Christiani zeichnete ein klares und schonungsloses Bild der aktuellen wirtschaftlichen Lage Österreichs. Nach Jahrzehnten des Wohlstands und wirtschaftlicher Stabilität sieht sich das Land nun mit einer beispiellosen Phase der Unsicherheit konfrontiert. Die wichtigsten Problembereiche:

  • Längste Rezession der Zweiten Republik – Die Wirtschaft stagniert oder schrumpft seit mehreren Quartalen.
  • Hohe Inflation – Trotz eines leichten Rückgangs bleibt sie mit 3,5 % über dem Durchschnitt des Euroraums (2,4 %).
  • Industriekrise – Österreichs Industrieproduktion ging im vierten Quartal 2024 um 3,5 % zurück, was auf steigende Kosten und schwache Nachfrage zurückzuführen ist.
  • Steigendes Budgetdefizit – Die Staatsausgaben übersteigen die Einnahmen erheblich, was zu wachsendem Schuldendruck führt.
  • Zunehmende globale Unsicherheiten – Die geopolitischen Spannungen, insbesondere durch Donald Trumps protektionistische Politik und die wirtschaftliche Konkurrenz mit China, stellen zusätzliche Herausforderungen dar.

Dr. Christiani betonte, dass es für Österreich entscheidend sei, sich diesen Veränderungen aktiv zu stellen und wirtschaftspolitische Weichen klug zu stellen.

2. Vortrag von Univ. Prof. Dr. Holger Bonin: Wirtschaftliche Analyse und politische Handlungsmöglichkeiten

Aktuelle Wirtschaftslage Österreichs

Prof. Bonin zeichnete ein ernüchterndes Bild der österreichischen Wirtschaft:

  • Längste Rezession seit Jahrzehnten – Seit mindestens zwei Jahren schrumpft die Wirtschaftsleistung, 2023 um -1 %, 2024 um -1,2 %. Für 2025 wird nur eine leichte Erholung erwartet.
  • Industrie in der Krise – Energieintensive Unternehmen leiden besonders unter hohen Kosten und schwacher Nachfrage.
  • Investitionszurückhaltung – Unternehmen investieren kaum in Wachstum, da die wirtschaftliche Zukunft unsicher ist.
  • Abhängigkeit von Deutschland und der EU – Da Deutschland selbst in einer wirtschaftlichen Krise steckt, wirkt sich das unmittelbar auf Österreich aus.

Strukturelle Probleme und langfristige Herausforderungen

Prof. Bonin machte deutlich, dass die derzeitige Wirtschaftskrise nicht nur auf kurzfristige konjunkturelle Schwankungen zurückzuführen ist, sondern tiefere strukturelle Ursachen hat:

  • Steigende Arbeitskosten – Die Lohnkosten in Österreich stiegen schneller als in Deutschland, was die Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert.
  • Hohe Energiepreise – Österreich gehört zu den Ländern mit den höchsten Energiepreisen in Europa, was sich negativ auf die Industrie auswirkt.
  • Demografischer Wandel – Die Alterung der Gesellschaft führt zu steigendem Fachkräftemangel und erhöhten Sozialausgaben.
  • Mangelnde Innovationskraft – Während andere Länder, insbesondere China und die USA, in Schlüsseltechnologien führend sind, hinkt Österreich bei Digitalisierung und Forschung hinterher.

Globale Risiken und geopolitische Unsicherheiten

  • Donald Trumps drohender Zollkrieg – Eine protektionistische US-Wirtschaftspolitik könnte Exporte massiv erschweren.
  • China als globaler Konkurrent – Österreichs Industrie könnte durch günstigere chinesische Waren weiter unter Druck geraten.
  • Sicherheitslage in Europa – Höhere Rüstungsausgaben könnten die Budgets zusätzlich belasten.

Welche politischen Antworten gibt es?

Prof. Bonin bewertete die Maßnahmen der neuen Regierung differenziert:

Positiv:

  • Reform der Bildungskarenz – Investitionen in Humankapital sind essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit.
  • Klarere Budgetkontrolle – Eine vorsichtige Finanzpolitik kann Vertrauen in die Stabilität schaffen.
  • Sozialpartnerschaft weiterhin ein Faktor – Die Einbindung der Sozialpartner könnte zu pragmatischen Lösungen führen.

Negativ:

  • Fehlende Langfriststrategie – Es gibt keine klaren Pläne für 2027/2028, was Unternehmen und Haushalte verunsichert.
  • Wenig Investitionen in Zukunftstechnologien – Österreich hinkt in der Digitalisierung und Forschung hinterher.
  • Keine umfassende Steuerreform – Steuerliche Anreize für Investitionen oder eine Entlastung der Arbeit fehlen.

3. Fragen & Antworten: Wirtschaftliche Perspektiven Österreichs

Wie stark wird ein Zollkrieg mit den USA Österreich treffen?

Prof. Dr. Bonin erklärte, dass mögliche Zölle auf europäische Exporte noch nicht vollständig in Konjunkturprognosen eingepreist seien. Erste Berechnungen deuten jedoch darauf hin, dass die Auswirkungen erheblich sein könnten:

  • Österreich als kleine Volkswirtschaft besonders verwundbar – Eng vernetzt mit Deutschland, das als Hauptopfer von US-Zöllen gilt.
  • Langfristige Wohlstandsverluste – Ein globaler Handelskrieg könnte die Wirtschaft nachhaltig schwächen.
  • Druck auf die EU zur Gegenreaktion – Handelskonflikte könnten weiter eskalieren.

Welche Rolle spielen Energiepreise für die Wettbewerbsfähigkeit?

Ein Teilnehmer aus der Energiebranche stellte fest, dass Europa sich selbst durch hohe Energiepreise schwäche. Bonin bestätigte dies, wies aber darauf hin, dass der technologische Rückstand eine noch größere Gefahr sei. Langfristig müsse Europa in Digitalisierung und Innovation investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Hat Österreich überhaupt eine Verhandlungsposition gegenüber den USA?

Obwohl Österreich auf den ersten Blick wirtschaftlich schwächer erscheint, wurde betont, dass viele österreichische Unternehmen Nischenmärkte in den USA bedienen. Zudem sei der Handel nicht nur mit Endprodukten, sondern auch mit Vorprodukten verbunden, sodass eine einseitige Abschottung den USA ebenfalls schaden könnte.

Sind Steuererhöhungen eine sinnvolle Antwort auf das Budgetdefizit?

Die Regierung plant unter anderem eine Erhöhung der Banken- und Energieabgabe sowie eine Mietpreisbremse. Während diese Maßnahmen kurzfristig Entlastung bringen könnten, warnte Bonin vor langfristigen Marktverzerrungen. Die eigentliche Lösung liege in strukturellen Reformen und wachstumsfördernden Maßnahmen.

4. Finanzpolitische Zwänge und Reformdruck

Die langfristige Budgetprognose zeigt einen zunehmenden Konsolidierungsbedarf:

  • 6,3 Mrd. Euro Defizit im Jahr 2025
  • 8,7 Mrd. Euro Defizit im Jahr 2026

Die Regierung hat erste Maßnahmen präsentiert, darunter:

  • Abschaffung des Klimabonus
  • Reform der Bildungskarenz und Sozialhilfe
  • Mehr Mittel für das AMS
  • Verschärfungen bei der Korridorpension
  • Steueranpassungen bei Tabak- und Grunderwerbsteuer

Jedoch bleiben viele Fragen offen. Besonders die angekündigte „Redimensionierung der Förderungen“ könnte weitreichende Folgen haben.

Dr. Christiani dankte Prof. Bonin für seine schonungslose, aber wertvolle Analyse. Die Veranstaltung zeigte, dass Österreich vor tiefgreifenden Herausforderungen steht, die strategisches Denken und entschlossene Maßnahmen erfordern.

Die Veranstaltung endete mit einer angeregten Diskussion und einem informellen Austausch bei Wein und Canapés, bereitgestellt von der Diplomatischen Akademie – ein stimmiger und gemütlicher Abschluss, der zeigte, dass tiefgehende wirtschaftliche Analysen nicht nur zum Nachdenken anregen, sondern auch Raum für persönliche Gespräche und neue Perspektiven schaffen.

Ich schließe mit meinem gewohnten Ausdruck des Bedauerns für all jene, die die gestrige Veranstaltung verpasst haben.

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