Ein Rückblick auf die Generalversammlung am 11. September 2023 in der Diplomatischen Akademie. (Fotos: Wolfgang Geißler)

Von Wolfgang Geißler

Dass unser Ehrenpräsident und Hausherr der Diplomatischen Akademie Dr. Emil Brix  über das übervolle Haus bei einer Generalversammlung mehr als nur überrascht war, was offensichtlich anderswo Seltenheitswert hat, er war „platt“, wie der Norddeutsche es zu sagen pflegt,  muss von mir „protokollarisch“ erwähnt werden. Dass die gestrige Veranstaltung bereits die 394. war, wie unser stolzer Präsident verlautbarte, veranlasste denselben Ehrenpräsidenten zur Bemerkung, dass er sich viel mehr gefreut hätte, hätte ihn unser Präsident zur 400. eingeladen, was dem Präsidenten wiederum ein „das wird noch kommen“ entlockte. Dabei stand Dr. Brix schon an der Wiege der neugeborenen Österreichisch-Britischen Gesellschaft.

Ein offensichtlich gut gelaunter Vizepräsident verteilte großzügig ein Kompliment an unseren Präsidenten, dem er aufgrund seiner eleganten Kleidung „erlesene Schönheit“ attestierte, was diesen ob dieser Wortwahl so überraschte, dass er mich ersuchte, dies in meinen Bericht aufzunehmen. Was ich somit getan habe. So was muss man sich erst einfallen lassen!

Prof. Dr. Kurt Tiroch, unser Präsident, führte uns nach seiner kurzen Begrüßung, wie gewohnt, durch die Tagesordnung und beendete es mit seinem Bericht.

Alle zwei Jahre darf der Kassier reden und die Leute müssen ihm zuhören. Ist das nicht aufregend? Das habe ich, als ebendieser Kassier gestern sehr genossen. Dr. Ulrike Buchta-Kausel folgte mir mit ihrem Bericht als Rechnungsprüferin.

Der Begriff „Ende der Geschichte“ („End of History“) wurde von Francis Fukuyama durch einen im Sommer 1989 veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift „The National Interest“ popularisiert. Er vertrat die These, dass sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der von ihr abhängigen sozialistischen Staaten bald die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und Marktwirtschaft endgültig und überall durchsetzen würden. Eine sehr gelungene Einleitung, die uns Dr. Brix zu dem Thema seines Vortrages „History Matters“ präsentierte, denn Francis Fukuyama hatte sich leider verschätzt. Das Bild der Geschichte, ihre subjektive Interpretation, kommt verstärkt zurück, wie sie uns Wladimir Wladimirowitsch Putin brutal vor Augen führt.

Anhand von etlichen Beispielen eröffnete uns Dr. Brix den Unterschied, wie Großbritannien und Österreich mit ihrer Geschichte umgehen.

Da sind die Themen wie Erinnerungspolitik. Sie spielen auf unterschiedliche Weise eine Rolle sowohl in Großbritannien als auch Österreich.  Nehmen wir etwa zwei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens: Armin Wolf, seines Zeichens österreichischer Journalist und Fernsehmoderator des ORF und Jeremy Paxman, ehemaliger englischer Rundfunksprecher, Journalist, Autor und Fernsehmoderator. Paxman vertrat in seinen Aktivitäten den britischen Stolz, der sich auf die Größe und Bedeutung des Britischen Empires bezog, während Wolf eher reflektierend und kritisch agierte.

Denkmäler in England sind militärischen Siegen gewidmet, in Österreich, mit wenigen Ausnahmen, heute eher dem Holocaust und den Opfern. Österreichs Zugang zur Geschichte ist eben ein anderer als in Großbritannien. Als Beispiel zitiert Dr. Brix das 1992 von der Queen Mother enthüllte Denkmal für Sir Arthur Harris, bekannt unter dem Spitznamen „Bomber Harris“ und das am Green Park  2012 errichtete neue Bomber Harris Denkmal, eingeweiht von der verstorbenen Queen. Was nicht unerwähnt bleiben darf, ist die Tatsache, dass es erheblichen Widerstand gegen diese beide, aber auch andere Denkmäler gibt. Trotzdem: Sieg und Erfolg spielen eine wesentliche Rolle in der englischen Erinnerungspolitik, nicht so in Österreich.

Sowohl Österreich als auch Großbritannien waren über Jahrhunderte Großreiche. Österreich war ein Kontinentalreich, ob nun ursprünglich aus „inneren Kolonien“ bestehend, wie der Balkan oder die Westukraine, oder eher doch ein Vorläufer der Europäisierung Mitteleuropas und deren Integration, um im Reich trotz der weiterhin bestehenden riesigen Vielfältigkeit die Gemeinsamkeit herzustellen, während das Britische Empire Fortschritt bedeutete und durch die Überseegebiete global agierte. Noch heute ist Österreich ein viel beachteter Experte in Fragen des Balkans.

Gibt es einen Zeitpunkt, von dem man sagen kann: mit diesem Datum endete das Empire, das Reich? Soweit es Dr. Brix betrifft, war es sicher sehr schmerzhaft, aber ein wohl fragwürdiges „Glück“, dass Österreich den Ersten Weltkrieg verloren hat. Somit waren wir gezwungen 1918 uns von einem Großreich auf einen Kleinstaat umzustellen. Dieses „Glück“ hatten die Briten nie. Das Empire ist wohl weg, aber es gab kein offizielles Ende. Das Commonwealth vegetiert dahin, aber erfüllt keine wesentliche politische Funktion. Für Indien, das einstige Juwel in der britischen Staatskrone, spielt Großbritannien keine Rolle mehr. Das Britische Empire ist zum Mythos verkommen.

Gibt es im Habitus des britischen oder österreichischen Menschen Ähnlichkeiten?

Der Engländer: Wirtschaftsliberaler Händler, Seefahrer, Abkehr vom Katholizismus zur protestantischen Ethik.

Der Österreicher: Land der Bürokratie und des Katholizismus. Dazu kommt noch die (angebliche) Wissenschaftsfeindlichkeit. Einer Studie nach erhält der Österreicher die (göttliche) Gnade und das (offizielle) Wissen „von oben“. Man sagt uns eine „Untertanenmentalität“ nach.

Während in Österreich die Universitäten Staatseinrichtungen sind (es gibt nur ein paar Privatuniversitäten) ist das in Großbritannien nicht der Fall.

Ständische und bürgerliche Revolutionen gab es in England zuhauf, in Österreich nur gescheiterte Revolutionen. Die berühmte 1848 Revolution war schnell Geschichte. Als die an der Revolution teilnehmenden Studenten mit ihren Fahnen aufbrachen, um nach Deutschland zu marschieren, schafften sie es bis zu den Weinkellern in Klosterneuburg, um dort zu bleiben.

Während bei uns die „Neutralität“ offiziell nicht diskutiert werden darf, denn alle Reformen kommen von „oben“ und nicht von „unten“ ist der Brexit ohne die Geschichte, mit Zuhilfenahme der Kriege in Europa und gegen Deutschland überhaupt nicht denkbar. Somit wird, wieder einmal, Brexit zum Krieg gegen Europa hochstilisiert.

Konkordanzdemokratie und Proporz. „Der Österreicher kennt den Konsens, bevor er weiß, wo der Konflikt ist“, ätzte einst Dr. Erhard Busek. Es muss aber dazu gesagt werde, dass sie in Österreich vorwiegend auf den enorm schlechten Erfahrungen der Ersten Republik beruht. Das Gegenstück dazu ist das britische System.

Die Geschichtsbücher beider Länder könnten nicht unterschiedlicher sein: Hier England „I shall not cease from mental fight, nor shall my sword sleep in my hand, till we have built Jerusalem in England’s green and pleasant land“.

Dort Österreich: einst hörte die Geschichte mit 1918 auf, dann gab es nichts vor 1918. Österreich gibt es nur von 1918 an? Wie paradox es sein kann, beweisen diese zwei Beispiele: 1995 feierte man 50 Jahre Österreich. Ein Jahr später, 1996 waren es plötzlich 1000 Jahre Österreich.

Nach einer intensiven Diskussion, die dem großartigen Vortrag von Dr. Brix folgte, versammelten wir uns gesellig zu köstlichen Canapés und dem hervorragenden Wein der Diplomatischen Akademie. Somit endete die 394. Veranstaltung!

 
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